Kein Zweifel …

… von Kerstin Geiger

Auf die Frage, wie man unter den vielen Taiji-Lehrern die es gibt, den richtigen findet, antwortete Jan Silberstorff auf einem seiner Seminare sinngemäß:
„Wenn man mit Taiji beginnen möchte, muss man sich die in Frage kommenden Lehrer genau anschauen und ausprobieren. Diese Suche kann durchaus einige Zeit dauern. Hat man dann aber einen seriösen Lehrer gefunden, sollte man zu ihm absolutes Vertrauen haben und seinen Korrekturen ohne Zweifel folgen. Dann kann man nach einiger Zeit und konsequentem Üben Taiji selbst erfahren.“

Bei Push-Hands-Übungen

Ich habe weder den richtigen Lehrer gesucht, noch wollte ich überhaupt Taiji machen. Um ehrlich zu sein, wusste ich überhaupt nicht, was das ist. Ich meldete mich sozusagen ahnungslos, ohne zu wissen wohin mich dieses bloße „Ausprobieren“ einmal führen würde, zu meinem ersten Taiji-Kurs an.

Vor meiner allerersten Taiji-Stunde war ich erwartungsvoll und gespannt darauf, wie so ein Taiji-Training wohl sein würde. Hinterher kam ich zu folgendem Entschluss: Erstens würde die Stehende Säule nicht meine Lieblings-Übung werden (wie man sich täuschen kann), und zweitens wollte ich diese 19er Form lernen, die uns Sasa zum Ende der Stunde vorgelaufen hatte. Außerdem hatte ich sofort Gefallen an der einhändigen Seidenübung gefunden, die einfach zu erlernen und trotzdem so komplex war. Ich begann sie zu Hause, wann immer sich Zeit bot, 5 bis 10 Minuten zu üben. Der „Taiji-Virus“ hatte mich also sofort nach meiner allerersten Stunde erfasst.

Im ersten Jahr war ich damit beschäftigt, mich im Training durch die Stehende Säule zu quälen, mit der, zu meinem Erschrecken, jedes Training begann und die furchtbar anstrengend war. Der Rest des Trainings machte mir sehr viel Spaß: die Seidenübungen und natürlich die 19er Form, die wir im Laufe der Zeit lernten. Bereits nach einigen Wochen begann Sasa damit, mir außerhalb des Trainings die Partner-Routinen beizubringen. Ich freute mich immer auf unser gemeinsames Üben und machte auch schnell Fortschritte. So kam es, dass ich schon während meines ersten Taiji-Jahres die ersten 3 Partner-Routinen gelernt hatte, noch bevor ich überhaupt eine Form durchlaufen konnte.

Zu Hause übte ich natürlich auch fleißig weiter. Die Seidenübungen und die 19er Form. Sasa aber meinte, es wäre dann auch mal interessant für mich, wenn ich in mein tägliches Üben die Stehende Säule mit aufnehmen würde. O. K., dies war zwar nicht meine Lieblings-Übung, aber ich wollte es versuchen. Es war schwer, viel schwerer als eine Form zu laufen oder die Seidenübungen zu machen. Aber ich kämpfte mich durch und merkte dann, dass mein Stand plötzlich viel besser wurde und ich die anderen Teilnehmer des Kurses ohne Mühe „rausschupsen“ konnte. Mittlerweile (natürlich gibt es Hochs und Tiefs und Zeiten, in denen ich mich aufraffen muss) ist die Stehende Säule zum (fast) täglichen Trainingsinhalt geworden.

Nach sehr vielen Trainingsstunden (ich hatte bereits die 75er Form gelernt) und langem Aufmuntern und Drängen von Sasa (sie brauchte ca. 1 Jahr bis ich einwilligte) absolvierte ich dann die Übungsleiter­prüfung. Dank meiner guten Ausbildung völlig problemlos.

Dann kam, was kommen musste. Der Sprung ins kalte Wasser. Meine erste Vertretungsstunde. Ich war überhaupt nicht in meiner Mitte und mit Taiji hatte das nicht viel zu tun, wie ich die Übungen vormachte. Aber aufgrund des positiven Feedbacks der Teilnehmer hinterher, fühlte ich mich dann doch wieder ermutigt, weiterzumachen. Mit fortschreitender Übung (bei 3 laufenden Wochenkursen kam es öfter vor, dass ich Sasa vertrat) fing das Unterrichten an, mir Freude zu machen. Und ich konnte später den praktischen Teil meiner Kursleiterprüfung, die ich 2007 erfolgreich ablegte, durch die gewonnene Unterrichts-Praxis absolut sicher meistern.

Irgendwann kam der Wunsch in mir auf, die 2. Handform zu lernen. Man unterhält sich ja auf Seminaren mit anderen Taiji-Übenden und erfährt dann, welche Formen sie schon alle gelernt hatten, obwohl sie nicht länger Taiji machten als ich. O-Ton Sasa: „Lern’ du erst mal die Laojia richtig“. (Der Satz bleibt mir wohl immer im Ohr). Also beschäftigte ich mich weiterhin mit der 75er-Form. Dadurch, dass ich mich nicht mehr so sehr auf den äußeren Ablauf konzentrieren musste, füllte sich dieser immer mehr mit dem Verständnis für Taiji und dem, was ich da tat. Und als ich dann irgendwann mit dem Lernen neuer Formen beginnen durfte, half mir dieses gewonnene Verständnis dabei.

Mittlerweile unterrichte ich seit 6 Jahren am Sportinstitut der Universität Karlsruhe und habe seit 2 Jahren einen laufenden Wochenkurs in einer Physiotherapiepraxis in Herxheim. Von Jan und auch von Sasa hatte ich zwar vorher schon gehört, dass das Unterrichten sich auch auf das eigene Üben auswirkt und man dadurch selbst Fortschritte macht, konnte mir das aber nie vorstellen. Jetzt weiß ich, dass dies so ist.

Natürlich war der Anfang schwer, aber mit der Zeit schaffte ich es, auch während des Unterrichtens bei mir selbst zu bleiben und trotz des vielen Redens beim Vor-Üben auch selbst Taiji zu machen. Außerdem habe ich gemerkt, dass sich durch das aktive Korrigieren anderer Menschen auch meine eigene Struktur und Zentriertheit verbessert hat. Und es bereitet mir Freude zu sehen, wie meine Schüler/innen durch das Training Fortschritte machen, und das nicht nur in ihrer Taiji-Praxis.

Abschließend kann ich nur sagen, dass ich mir meine Taiji-Lehrerin zwar nicht gezielt ausgesucht habe, das Vertrauen in die Korrekturen und den Unterricht aber von der ersten Stunde an da war, und ich noch in keinem Moment der 13 Jahre, die ich nun schon von Sasa unterrichtet werde, daran gezweifelt habe.

Ich bin Sasa dankbar, dass sie mich auf den richtigen „Taiji“-Weg geleitet hat und mich auf diesem auch weiterhin begleitet.

Kerstin Geiger, Freckenfeld, November 2013