Ruhe, innere Stille oder doch der ganz große Frieden? Wie funktioniert eigentlich Meditation?

Geh ich zeitig in die Leere
Komm ich aus der Leere voll.
Wenn ich mit dem Nichts verkehre
Weiß ich wieder, was ich soll.

Bertold Brecht (1898 – 1956, aus den Buckower Elegien 1953)

Wie so vieles andere auch hat Meditation in erster Linie etwas mit dem Körper zu tun. Es ist eine zutiefst körperliche Erfahrung. Egal welche Meditations-Methode. Es beginnt immer mit dem Körper. Wir richten den Körper auf, wir balancieren ihn aus, wir nehmen uns als Körper war, egal ob im Stehen, im Liegen, im Sitzen oder in der Bewegung.

Im Weiteren möchte ich von der Sitzmeditation sprechen. Wir setzen uns also aufrecht und entspannt hin, entweder auf einem Stuhl oder auf ein Sitzkissen. Dann richten wir die Sinne des Körpers nach innen, gerade so als ob wir nach innen riechen, schauen, hören oder lauschen. Dafür nutzen wir die mentale Kraft des Körpers (manche würden es auch Geist nennen), um die Konzentration erstens bei der Haltung zu bewahren und zweitens beim jeweiligen Fokus der Meditation. Wir lernen, uns mit Hilfe der mentalen Kräfte (des Körpers) wieder zu verkörpern.

Der Fokus der Meditation kann Beispielsweise das Beobachten des Atems sein oder das Zählen der Atemzüge. Ein klarer Fokus, eine klare Aufgabe hilft festzustellen, ob wir uns wirklich bei dieser Aufgabe befinden oder eben nicht.

Dann gibt es noch etwas, das manchmal mit Gewahrsein beschrieben wird. Das Gewahrsein ist so etwas wie eine Instanz über oder hinter der Aufmerksamkeit, die mir sagt, ob ich diese Aufgabe erfülle oder eben nicht. So ist Meditation im ersten Schritt eine Konzentrationsübung. Wenn ich – wie manche buddhistischen Lehrer:innen sagen würden –meine Aufmerksamkeit „eins gerichtet“ habe, ist das schon meist eine ziemliche Entspannung für den sonst von Hause aus sehr unruhigen „Geist“.

Ich möchte aber explizit nicht zwischen Geist und Körper unterscheiden, also könnte ich hier auch sagen: für den von Hause aus unruhigen Körper (und den Geist meine ich mit, da er Teil des Körpers ist). Anfänglich wird dem/der Praktizierenden beim Meditieren diese Unruhe erst bewusst und es erscheint fast so, als würde das Meditieren diese Unruhe nur noch verstärken, dabei wird sie einfach nur bewusst, wahrnehmbar und die Erkenntnis ob dieser Unruhe wird deutlich.

Es ist also so, dass wir uns auf eine einzige Sache (beispielsweise den Atem) konzentrieren lernen. Eine Sache ganz und gar zu tun, in ihr aufzugehen vielleicht sogar über einen längeren Zeitraum. Wer kennt das nicht? Und wer wünscht es sich nicht?

In der (Sport)Wissenschaft kennt man dieses Phänomen unter dem Begriff des Flow-Erlebnisses. (Wen es interessiert: Csikszentmihalyi M & Jackson SA. Flow im Sport. Der Schlüssel zur optimalen Erfahrung und Leistung. München: BLV Verlagsgesellschaft (2000).

Aber wir alle kennen dieses Erlebnis, zum Beispiel wenn wir ganz und gar in der Gartenarbeit aufgehen und an nichts anderes mehr denken. Beim Joggen oder beim Spielen, wenn wir die Zeit vergessen oder eben uns selbst vergessen. Kinder können uns das sehr gut vormachen. Oder Tiere.

Aber zurück zum Thema: Meditation ist also im ersten Schritt eine Konzentrationsschulung.

Des Weiteren ist Meditation dann oft eine Praxis innerhalb einer Religion. Darauf möchte ich jetzt nicht weiter eingehen. Ich möchte vielmehr auf die religionsunabhängige Methode des Zazen eingehen. Oder genauer gesagt: auf die gegenstandslosen Meditation wie ich sie im Rahmen meiner Zazen-Ausbildung kennen gelernt habe: der Sanbô-Zen Schule.

Zazen hat sich zwar aus dem Buddhismus entwickelt, ist aber nicht an eine bestimmte Religion oder Konfession gebunden. Es ist so für alle Menschen, unabhängig aus welchem Hintergrund sie kommen, möglich die Erfahrungen durch das Zazen zu erleben.

Es wird durch das aufrechte Sitzen in der Stille (Zazen) ein Sich-Einlassen in das wahre Selbst angestrebt. Daraus soll dann auch der Alltag erlebt und gestaltet werden. Weiter können wir auf der Internetseite des Sonnenhofes lesen: https://www.sonnenhof-holzinshaus.de/#!

„Zazen unterscheidet sich insofern von anderen Praktiken, als es ohne Umschweife vorgeht. Man setzt sich und beginnt zu erforschen, was oder wer man ist. Das geht nicht, ohne aufmerksam nach innen zu schauen, in den eigenen Geist. Dies ist meistens ein langer, manchmal auch mühsamer Weg, der sich jedoch lohnt. Zazen ist eine Lebenspraxis und führt letztendlich zur Befreiung. Was Befreiung ist, kann mit Worten nicht ausgedrückt werden, sondern muss erfahren werden.“

Es können Erfahrung gemacht werden, die manche vielleicht „Einheitserfahrung“ nennen würden, es spielt aber im Grunde keine Rolle. Eine einmalige Einheitserfahrung ist weder gut noch schlecht, noch notwendig. Und vor allen Dingen nichts, was man einmal erlebt hat und dann ist alles gut. Es ist nicht das Ziel oder schon gar nicht das Ende der Meditationspraxis. Selbst wenn diese Erfahrung gemacht wurde, geht es im Weiteren darum, diese Erfahrung in die eben wieder (körperliche) Präsenz zu integrieren, in unseren Alltag und in unser Handeln.

Aus eigener Erfahrung kann ich versuchen, es so zu beschreiben: Zuerst wurde ich entspannter, ruhiger. Ich fühlte mich wohler und meine Umwelt fühlte sich auch wohler mit mir. Es war aber ein fragiler Zustand, der immer wieder einstürzte und am nächsten Morgen (durch eine weitere Sitzmeditation) wieder aufgebaut werden musste. Es war auch so, dass ich dachte, das kann nicht alles gewesen sein. Ich spreche hier von einem Zeitraum, der sich über viele Jahre erstreckte.

Irgendwann wurde diese Ruhe stabiler, irgendwie tiefer und umfassender, eine Art Stille war in mir immer öfter und nachhaltiger zugänglich und wahrnehmbar. Und nach weiteren Jahren schließlich traf ich auf eine noch tiefere Ebene vielleicht so was wie einen tiefen inneren Frieden. Schwer zu beschreiben, aber es ist vielleicht so wie Joan Rieck sagen würde: „Everything is already perfect.“

So würde ich sagen: „Wenn wir friedlicher und entspannter, freundlicher werden mit uns selbst und unserer Umwelt ist das ein Zeichen von Fortschritt.“

Das kann für mich allerdings niemals bedeuten sich nicht gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen oder in irgendeiner Weise nur mit dem eigenen Fortschritt zufrieden zu sein.

Ich persönlich habe sehr lange nach einer fundierten Meditations-Methode gesucht, die einerseits erprobt und wirksam ist und andererseits religionsunabhängig praktiziert wird. Und nach langen Reisen durch Asien und die Welt habe ich sie in der Nähe von Freiburg gefunden. Und dort auf dem Sonnenhof habe ich meine Zen-Lehrerin Joan Rieck getroffen. Für diese Begegnung kann ich gar nicht froh und dankbar genug sein. Wer mehr über sie erfahren möchte: www.zendo.dentangles.com/our-teacher/

Seit einigen Jahren reist sie nicht mehr, hat aber in Henry Shukman einen wundervollen Nachfolger empfohlen. Hier gibt es weitere Informationen über ihn: https://www.mountaincloud.org/about/henry-shukman/

Dies ist mein ganz persönlicher Hintergrund und passt auch sehr gut zu Taiji, das ich ja zuerst praktiziert habe. Zen und Taiji haben dieselben Wurzeln, nämlich den chinesischen/daoistischen Hintergrund. Man könnte sagen, der chinesische Chan-Buddhismus (Chinesisch: Chan, Japanisch: Zen) gelangte über Indien und damit auch mit den buddhistischen Einflüssen nach Japan und wurde dort, wie so vieles methodisch und didaktisch auf „Höchstform gebracht“ (sehr verkürzt dargestellt).

In der Zen-Linie, Sanbô-Zen arbeiten wir auch mit Koans (den sogenannten paradoxen Rätseln). Das erste Koan heißt „Mu“. Es erzählt von dem Schüler (ich gehe leider fest davon aus, dass es nur Männer waren, die Männer unterrichtet haben zu dieser Zeit), der seinen Lehrer fragt:

„Kann ein Hund Buddha-Natur erlangen?“

(Um die Jahrtausende etwas auszugleichen spreche ich jetzt im Folgenden ausschließlich von Frauen:)

Die Lehrerin antwortete: „Mu“.

„Mu“ bedeutet soviel wie Nein oder Nichts. In dem Fall vielleicht auch soviel wie geh weg …

Eine Zen-Schülerin wird sofort stutzen, ob dieser überraschenden Antwort, denn laut der Lehre hat jedes Lebewesen Buddha-Natur (die universelle, immanente Fähigkeit und Potenz von Lebewesen, zu Buddhas erleuchtet zu werden und vom Rad der Wiedergeburt befreit zu werden.

Warum also antwortet die Lehrerin mit „Mu“?

Und Fun-fact: Sie antwortete mit Sicherheit nicht mit „Mu“, sondern eben mit „Wu“, weil sie Chinesisch sprach und nicht Japanisch. Und dies wiederum wird allen Taiji-Praktizierenden irgendwie bekannt vorkommen.

Die Aufgabe besteht nun darin, diese paradoxen Rätsel zu lösen, sie können jedoch nicht kognitiv gelöst werden. Und die Ausbildung im Zazen bedarf immer einer engen Begleitung einer Lehrerin oder eines Lehrers.

In diesem Sinne, fast bin ich versucht zu sagen: Viel Spaß mit Nichts. Oder eben mit Allem.

Wen es noch genauer interessiert:

Die wichtigsten Merkmale der Sanbô-Zen-Schule, die sich aus den zwei alten traditionellen Linien Sôto und Rinzai zusammensetzt

Das ausdauernde Sitzen (Zazen zur Wand gekehrt) wie in der Sôtô-Schule, doch mit konsequentem Schweigen, was in der Sôto-Schule nicht mehr überall gepflegt wird
Die Koan-Arbeit (beginnend meist mit dem Koan „MU“) wie in der Rinzai-Schule
Die Unabhängigkeit von Klöstern, Tempelorganisationen und klösterlichen Gebräuchen (keine Mönchsordinationen, keine Pflicht zu Mönchsgewändern usw.)
Leitung nicht durch Mönche/Priester, sondern durch Laien
Volle Freiheit im Bezug auf die Konfessions- und Religionszugehörigkeit

Weitere Informationen zur Sanbô-Zen Schule unter: www.sanbo-zen.org

_______________

Hier noch den Bericht einer Schülerin, die eine Meditations-App ausprobiert hat, von der sie sehr begeistert ist:

Je genauer du an einem Ort bist, desto mehr bedeutet er alle Orte …

Zwei Sätze bewegen mich seit der Coronazeit besonders. Das eine Zitat von Wolfgang Kohlhaase einem deutschen Drehbuchautor, Regisseur und Schriftsteller stammt aus einem Artikel der taz aus dem Jahr 2006, ein guter Freund hat es mir vermacht:

„Je genauer du an einem Ort bist, desto mehr bedeutet er alle Orte.“

Dieser Satz hat für mich viel mit Taiji zu tun, mit Meditation, mit einer Art die Welt zu sehen, er hat etwas Tiefes und Beruhigendes für mich.

Das andere ein Spruch: „If you can’t go outside, go inside.“

Und da das Insichgehen ganz Coronaunabhängig praktiziert werden kann, habe ich begonnen zu meditieren. In der Vergangenheit habe ich schon mehrfach Anläufe für ein regelmäßiges Meditieren genommen, sehr lange hat es aber nie vorgehalten.

Den Anstoß jetzt hat der Enkel meiner lieben Nachbarsfreundin (86 Jahre) gegeben, als er uns beiden vor dem Corona-Lockdown eine kleine Einführung in Meditation samt angeleiteter Meditation gegeben hat. Das hat er wunderbar gemacht.

Nach dem Abitur war er mit seinem Bruder in Thailand im Kloster zum Meditieren. Und er hat mir die Meditations-App „Waking Up“ empfohlen, die er sehr schätzt, weil sie nicht zu esoterisch ist und viel Hintergrundwissen bietet.

Jetzt habe ich schon länger die 50 zehnminütigen Einführungsmeditationen hinter mir und mache weiter, jeden Tag vor dem Schlafengehen eine geführte Meditation.

Wenn ich mehr Muße habe, höre ich mir Einheiten aus dem Theorieteil oder längere Gespräche an. (Hier habe ich auch ein langes Gespräch mit Henry Shukman angehört, das gute Einblicke in Zazen und die Praxis der Koans gibt.)

Mir tut diese Herangehensweise sehr gut, ich fühle mich fundiert und behutsam an das Meditieren herangeführt. Und auch tagsüber gibt es inzwischen mehr Momente, wo ich kurz innehalten kann, mir eine kurze Auszeit aus dem Geschäftigen nehmen kann.

Vielleicht ist hier ja auch jemand auf der Suche nach einem guten Start ins Meditieren, dann kann ich diesen – allerdings in englischer Sprache – aus vollstem Herzen zum eigenen Ausprobieren empfehlen.

Sabine

App: „Waking Up“ von Sam Harris